Welcher Konzern hinter dem Marathon-Rekord vom Wochenende steckt

Am vergangenen Samstag ist in Wien etwas Bemerkenswertes geschehen. Zum ersten Mal, seit der Mensch rennt – und der Mensch rennt schon ziemlich lange –  ist es einem Mann aus Kenia gelungen, die Marathon-Strecke in unter zwei Stunden zu absolvieren.

Eliud Kipchoge kam im Wiener Prater mit einer Zeit von 1:59:40 ins Ziel –  20 Sekunden unter der magischen Grenze, die lange als unüberwindbar galt. Dafür war die Unternehmung „Ineos 1:59 Challenge“ bis ins letzte Detail vorbereitet worden. Die Strecke war frisch asphaltiert. In den 9,6 Kilometer langen Rundkurs waren Steilkurven eingebaut. Kipchoge wurde von etlichen, einander ablösenden Tempomachern begleitet.

In Kipchoges Heimat standen Menschen bei Public Viewings vor der Leinwand. Auch der Prater war voll. Mittendrin: ein Brite, der die Leistung „superhuman“ nannte – übermenschlich.

Sein Name: Jim Ratcliffe. Einer der reichsten Männer Großbritanniens, glühender Brexit-Befürworter und Gründer des Chemie-Konzerns, der das Ganze finanziert hat. Mit dem Lauf vom Wochenende steht Ineos als Unternehmen da, das dabei mitgeholfen hat, die Grenzen des menschlich Möglichen wieder ein bisschen mehr zu verschieben. Da sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Konzern auch an anderer Stelle daran arbeitet, unser Vorstellungsvermögen zu dehnen.

Ineos macht seinen Reichtum unter anderem damit, die Welt mit Plastik zu fluten. Das Unternehmen gehört zur petrochemischen Industrie, die fossile Brenn- in Kunststoffe verwandelt. Das sorgt nicht nur dafür, dass die Welt zunehmend in billigem Plastik ertrinkt – vor allem Wegwerfplastik und Verpackungen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet befeuert unser Plastik-Wahn auch die Klimakrise. Ineos importiert bereits seit drei Jahren nachweislich klima- und umweltschädliches Fracking-Gas, um daraus billiges Grundplastik zu produzieren. Nach Berechnungen des „Center for International Environmental Law“ (CIEL) ist allein die Plastikproduktion – wenn sie weiter so ungehemmt ansteigt wie bislang – für zehn bis 13 Prozent des CO2-Budgets verantwortlich, das wir bis zum Jahr 2050 noch in der Atmosphäre abladen dürfen, wenn die Menschheit das 2015 in Paris beschlossene 1,5 Grad-Ziel einhalten will.

Im Windschatten von Eliud Kipchoge ist ein Konzern über die Ziellinie gelaufen, dessen Geschäftsgrundlage die Klimakrise ist. Man kann sich natürlich freuen, dass so ein Unternehmen einen Ausnahmesportler unterstützt. Aber darüber zu jubeln, ist, als würde man sich mit einem Coffee to go-Becher in die erste Reihe einer Demonstration für mehr Klimaschutz stellen.

Die Verführung der Massen ist aber nur ein Beispiel unter vielen. Ineos investiert strategisch in das Greenwashing seines Images auch im Radsport und beim Segeln. Außerdem sponsert der Konzern ein französisches und ein schweizerisches Fußballteam. Aus dessen Sicht dürfte aber gerade der Marathon ein kluges Investment sein. Afrika und Asien ersticken zunehmend in billigem Plastik. Das Argument, mit dem große Konsumgüter-Konzerne ihre Geschäftspraktiken verteidigen: „Ihr im globalen Norden habt bereits Wohlstand erreicht. Wir exportieren ihn in Weltgegenden, die von diesem Wohlstand ebenfalls träumen.“

Was sie dabei unerwähnt lassen: wie Weltregionen mit dem Abfall fertig werden sollen, für den es keinerlei funktionierende Recycling-Infrastruktur gibt – wo schon der globale Norden ungeachtet jeder Gelbetonnigkeit der Flut nicht Herr wird. Und was ebenfalls niemand schlüssig erklären kann: inwieweit Berglandschaften aus Einwegflaschen, vermüllte Strände oder Plastikteppiche in Flüssen auf diesen Wohlstand, wie man in Business-Kreisen gern sagt, einzahlen. Das einzige, was hier einzahlt, sind Menschen, die sich zu einem Lebensstil verführen lassen, der sie langfristig der eigenen Lebensgrundlagen beraubt.

Ineos ist der versteckte Profiteur dieser Entwicklung. Und bevor er in Verruf gerät, prägt er sein Image eben selbst.

Ineos – sind das nicht die mit den Superhumans?

Nein. Es sind die mit den Superfossils.

Ineos arbeitet längst daran, seine Produktion auszuweiten. Der Plastik-Atlas der Heinrich-Böll-Stiftung illustriert, wie und wo der britische Konzern eine Infrastruktur aufbaut, um gefracktes Gas aus Amerika nach Europa zu holen. Mit Schiffen, die so groß sind, dass man auch darauf Marathon-Läufe veranstalten könnte. Ziel: die Ausweitung der Plastik-Produktion.

Dass Konzerne mit fragwürdigen Geschäftspraktiken und Produkten, die die Welt nicht besser, sondern schmutziger machen, Sportevents finanzieren, ist nichts Neues. Allein die Geschichte des Fußballs ist voll von Sponsoren, mit denen man nicht mal gemeinsam auf einer Tribüne sitzen wollte. Der Fall von Ineos ist aber deshalb der Erwähnung wert, weil es hier zu einem Zusammenprall zweier Welten kommt, in dessen Funkenschlag die mit entscheidenden Debatten in der vor uns liegenden Epoche verlaufen werden.

Hier die Welt von Konzernen, die fossile Brennstoffe brauchen wie Marathonläufer die Luft zu Atmen und alles daran setzen werden, ihr klimafeindliches Geschäftsmodell zu verteidigen. Dort die Welt derer, die wissen, dass diese Geschäfte nicht mehr passen zu einem Lebensstil fürs 21. Jahrhundert, der aus einer Überlebensnotwendigkeit heraus die Grenzen materieller Ausdehnung anerkennt und für eine Weltbevölkerung von bald neun Milliarden Menschen funktionieren muss.

Grafik: PLASTIKATLAS | Appenzeller/Hecher/Sack, CC BY 4.0

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