Mehr Gerechtigkeitsgerede! Über die Mutlosigkeit der SPD beim Klimaschutz

Das Vertrackte an Politik ist mitunter, dass sie Ansichten hervorbringt, die auf den ersten Blick völlig logisch erscheinen. Erst bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass ihr genaues Gegenteil zutrifft – doch dann ist es oft schon zu spät. Und damit sind wir bei Olaf Scholz und der SPD.

Wenige Tage vor der Thüringen-Wahl hat der Finanzminister und Mitbewerber um den SPD-Vorsitz ein bemerkenswertes Interview gegeben. Er bezeichnet darin die Forderungen nach einem höheren CO2-Preis als „Wohlhabenden-Gerede“. Die Politik dürfe die Frage nicht ignorieren, „wie die Bürger damit zurechtkommen können, was die Politik ihnen vorschreibt“.

Aus jeder Zeile des Gesprächs weht dem Leser Scholz’ Furcht entgegen, die AfD könne Kapital aus einem Klimaschutzpaket schlagen, das die weniger Wohlhabenden mit dem Gefühl allein lässt, Klimaschutz gehe vor allem zu ihren Lasten. Und dann? Fährt die AfD bei der Thüringen-Wahl die Ernte einer Sorge ein, die Olaf Scholz mitgesät hat: 83 Prozent der AfD-Wähler (und wenige AfD-Wählerinnen) haben ihre Entscheidung mit der Angst begründet, dass sich das Leben in Deutschland zu stark verändern wird. Und die SPD, die Olaf Scholz als Sorgenfänger positionieren wollte, landet beim zweitschlechtesten Ergebnis, das seine Partei jemals bei einer Landtagswahl erzielt hat. Vertrackt.

Beim Klimaschutz offenbart sich, wie sehr die deutsche Sozialdemokratie bei der entscheidenden Zukunftsfrage unseres Landes an ihrer eigenen Mutlosigkeit scheitert. Klimagerechtigkeit entsteht nicht, wenn ein Klimaschutzschirm so aufgespannt wird, dass er möglichst niemandem weh tut. Klimagerechtigkeit entsteht, wenn man den Mut und die Entschlossenheit aufbringt, gegen den Anschein einfacher Wahrheiten zu entscheiden, und den Wählerinnen und Wählern komplexe Zusammenhänge so erklärt, dass sie nicht den Vereinfachern vom rechten Rand auf den Leim gehen.

Die SPD tut so, als wäre ein Startpreis von zehn Euro pro Tonne CO2 – gepaart mit einer Entlastung bei der EEG-Umlage, einer Erhöhung des Wohngeldes oder einer erhöhten Pendlerpauschale – der Einstieg in eine Klimagerechtigkeit, die langfristig klimaschädliches Verhalten wirksam sanktioniert. Das ist aber dummerweise leider einfach nicht der Fall. Das von der Bundesregierung verabschiedete Paket legt vielmehr die Basis für eine Klimaungerechtigkeit, die in den kommenden Jahren umso größer wird, je ernster es Deutschland mit dem Klimaschutz nehmen muss.

Man muss nur einen kurzen Blick in das Papier „Bewertung des Klimapakets und nächste Schritte“ werfen, das das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in der vergangenen Woche veröffentlicht haben. Darin stehen zwei zentrale Botschaften.

Die erste: Wer heute einen zu niedrigen CO2-Preis ansetzt, muss ihn in wenigen Jahren umso höher steigen lassen – zumindest wenn die 2015 in Paris völkerrechtlich vereinbarten Klimaschutz-Ziele mehr sein sollen als das Ergebnis einer lustigen Partie Völkerrechtsball.

Und die zweite: Es sind schon jetzt vor allem die Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen am stärksten vom Klimaschutzpaket betroffen, weil sie einerseits einen besonders großen Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben und andererseits von den Entlastungen verhältnismäßig wenig profitieren. Das Wenige, was ein Startpreis von zehn Euro an Lenkungswirkung erzielt, geht vor allem auf ihre Kosten. Diese Belastungen werden weiter steigen, wenn die Bundesregierung den Klimaschutz ausbaut, zu dem sie sich in Paris verbindlich verpflichtet hat.

Was daran gerecht sein soll, weiß vermutlich noch nicht einmal die SPD selbst. Sie verhält sich wie jemand, der glaubt, man müsse nur oft genug Eisbär sagen, damit es draußen wieder kühler wird.

Es ist eben kein Wohlhabenden-Gerede, einen höheren Startpreis zu fordern. Es ist das genaue Gegenteil: Gerechtigkeitsgerede. Und es ist zum Verzweifeln, dass das gerade in der SPD, der Partei, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben hat, offenbar entweder niemand in Regierungsverantwortung versteht oder niemand den Mut hat, es auszusprechen, aus Angst vor der Stärkung des rechten Rands. Was ja ganz prima funktioniert: Der rechte Rand wird immer stärker.

Dabei haben dieselben Autorinnen und Autoren, die jetzt das Paket bewertet haben (Disclaimer: Eine davon ist Dr. Brigitte Knopf, eine der Protagonistinnen in vollehalle), noch im Frühsommer bei der Bundesregierung vorgesprochen. Sie haben erklärt, wie ein wirklich gerechter Klimaschutz aussehen kann. Zum Beispiel in Form einer sogenannten Dividende, die zum Jahresende an alle Bürgerinnen und Bürger ausgeschüttet wird. Jeder bekommt den gleichen Betrag ausbezahlt – wer sich klimabewusster verhalten hat, steht anschließend besser da. Davon profitieren gerade die ärmeren Haushalte: Weil sie im Vergleich zu Wohlhabenden weniger Geld für Energie oder Mobilität ausgeben, übersteigt die Auszahlung ihre Ausgaben. Sie machen ein Plus.

Allerdings gibt es auch an dieser Konstruktion Kritik: Die Ärmeren würden diese Zusatzeinnahmen nutzen, um sich langgehegte Wünsche zu erfüllen. Aber das ist eine andere Diskussion, die zur Frage führt, ob die Einnahmen aus der Erhebung eines CO2-Preises nicht besser in eine umfassende Steuerreform oder den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs fließen, der dabei hilft, auch auf dem Land das Auto verzichtbar zu machen.

Doch welches Konzept auch immer: Voraussetzung ist ein Preis, der so hoch ist, dass er tatsächlich Verhaltensänderungen nach sich zieht, verbunden mit Maßnahmen, die gerade die Ärmeren entlasten. Und nicht umgekehrt wie jetzt – ein Preis, der so niedrig ist, dass ihn kaum jemand spürt, gekoppelt mit Maßnahmen, die vor allem den Wohlhabenden nutzen. Eine solche Politik ist nicht gerecht – sie ist allenfalls selbstgerecht.

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